Reiseführer Eritrea

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Von Asmara nach Massawa ans Rote Meer. Eine Leseprobe von Peter F. Appenheimer und Clementine Klemp

Vor uns liegt eine etwa 110 km lange Fahrt, die uns vom Hochland auf einer gut aus-gebauten Straße von 2.400 Meter sehr steil bergab in die schmale Küstenebene bringt. Von der Hauptstadt Asmara geht es hinunter nach Massawa, an die Küste des Roten Meeres. Mit dem Bus sind wir ca. vier Stunden unterwegs, mit dem Taxi wären wir nach nur zweieinhalb Stunden dort. Wie kurvenreich die Straße ist, zeigt sich daran, dass beide Städte lediglich 56 Kilometer Luftlinie von einander entfernt sind. Die Straße führt meist unmittelbar an der Eisenbahn entlang…

Wir haben uns für den durchfahrenden Bus entschieden, um Massawa noch in den „kühlen“ Vormittagsstunden zu erreichen. Mit der beginnenden Morgendämmerung fahren wir durch die fast leeren, allmählich erwachenden Straßen Asmaras. Wären wir mit einem Taxi unterwegs würden wir auf halber Strecke in Ghinda gemütlich frühstücken. So muss unser Bauch bis Massawa warten.

Die KIRCHE BIET GHIORGIS (Haus des Heiligen Georg) taucht in der Morgendämmerung auf einem Hügel links auf. Wir wissen, jetzt sind wir gleich aus dem Stadtgebiet heraus. Nach einem Kontrollposten fahren wir vorbei an der Mülldeponie mit Autoschrott-Platz, die hinter den Bergrücken liegt. Wir hoffen auf günstige Winde, damit uns nicht der unverkennbare Geruch vom Verbrennen des Mülls in die Nase sticht.

Jetzt beginnt unsere Abfahrt vom Hochland. Und wir werden bei klarem Wetter mit einem atemberaubenden Blick über die Berge bis hinüber zum Restaurant Sedici und weiter belohnt. Die Straße windet sich am Berghang entlang. Vor DORFU steht am Straßenrand ein Bildstock (im österreichischen „Marterl“ genannt), neben dem meist ein alter Mann oder eine alte Frau sitzen. Viele der Fahrer fahren hier ganz langsam und werfen einen Nakfa-Schein auf die Straße. Die alten Leute sammeln dieses Geld für die oberhalb stehenden koptische Kirche Aboi Aboregawi. Natürlich spenden für diesen Zweck nur christliche Fahrer.

Auf unserer kurvenreichen Fahrt begegnen uns viele Schüler, die oft kilometerlange Fußwege zur Schule zurücklegen müssen. Neben Lastwagen wird die Straße auch von Hirten genutzt, die mit ihren kleinen Herden von Ziegen, Schafen und Eseln zu kargen Weideplätzen oder zum Markt unterwegs sind. In den Morgenstunden eines Sonntags oder an einem christlichen Feiertag begegnen uns auch Gläubige, die in Grüppchen zu den etwas abseits liegenden kleinen Kirchen gehen. Uns entgegenkommend quälen sich Radrennfahrer bergauf, andere stürzen sich in halsbrecherischem Tempo zwischen den Bussen und Lastautos hinunter. Eritrea ist ein radsport-begeistertes Land und feiert seine „Helden der Landstraße“.

Weiter geht es durch DORFU (DORFO) bergab. Zu unserer Linken, auf der straßenabgewandten Seite, liegt hinter einem Grat das Dorfu-Tal (PYTHON-TAL). Wenn wir woll-ten, könnten wir in das Tal hinunter steigen und bis nach Ghinda wandern. Schon allein ein Blick auf die abgerundeten Bergkuppen und die tiefen Schluchten lohnt sich. Die Bergeinsamkeit ruft, denn alles scheint fast unbewohnt und unbewirtschaftet zu sein. Sind Sie gut zu Fuß, dann wagen Sie es. …

Die Eisenbahnlinie begleitet uns auf unserem Weg. Mal auf der einen, mal auf der anderen Seite, mal oberhalb der Straße, mal unterhalb. Bis sie endlich links, kurz vor SEDICI, über den Grat verschwindet und in einem weiten Bogen hinunter nach NEFA-SIT führt. Währenddessen geht es auf der rechten Straßenseite tief hinunter in ein sanft geschwungenes Tal, in dem Felder liegen. Am gegenüberliegenden Berghang krallen sich kleine Ansiedlungen fest.

Sechzehn Kilometer von Asmara entfernt erreichen wir das RESTAURANT SEDICI (italienisch für „sechzehn). Das Restaurant liegt auf einem schmalen Bergrücken und wir  können bei guter Sicht auf der gegenüberliegenden Bergkette das KLOSTER BIZEN (DEBRE BIZEN) erkennen. Bei unseren häufigen Fahrten nach Nefasit machen wir dort schon mal Pause, trinken einen heißen Tee, genießen den Rundblick. Wir freuen uns über die Paviane, die in kleinen Gruppen über die Straße rennen. Aber Vorsicht! Da sie sehr scheu sind, beißen sie, wenn sie sich bedroht fühlen …

Bis Sedici ging es eigentlich noch nicht richtig bergab, doch jetzt werden alle Erwar-tungen erfüllt. Im Zickzack geht es eine sehr steile Abfahrt, mit mehr als 40 Kurven und fast zwanzig Serpentinen, hinunter nach NEFASIT. Das langgestreckte Dorf liegt in 1.600 Meter Höhe, eingebettet zwischen dem Hochland (Asmara) und den gegenüberliegenden Bergen (Debre Bizen). Rechts biegt die Straße nach Mai Habar und weiter nach Decamhare ab. Für den Namen des Dorfes gibt es zwei Erklärungen: Die einen meinen es würde von „Nefas“ („Wind“) hergeleitet. Was durchaus stimmen kann, weil es in Nefasit selbst an heißen Tagen oftmals sehr windig ist. Die anderen sagen, es bedeute „Öffnung“, was wiederum auf den Bergpass hinweisen würde.

Die Straße nach Massawa schlängelt sich bergab durch Nefasit. Vorsicht ist geboten, denn vielleicht erleben sie hier Kinder, die mit Wasserkanistern auf selbstgebauten Wägelchen die Straße hinuntersausen. Für den Bau dieser rasanten Gefährte reichen ein Holzbrett, vier Räder und ein Seil zum Lenken. Beiderseits der Straße liegen am meist trockenen Bachbett die Wohnhäuser. Durch die Binnenflüchtlinge wächst die Bevölkerung von Nefasit von Jahr zu Jahr und es werden immer mehr Häuser an den steilen Berghängen errichtet. Das Dorf endet plötzlich auf der Höhe des zur rechten Hand liegenden Bahnhofs …

Einmal, als wir frühmorgens, so um fünf Uhr, mit einem Freund in Asmara losgefah-ren sind, haben hier in GHINDA gefrühstückt. Zumal Frühstückrestaurants nach Ghinda kaum noch zu finden sind, eigentlich erst wieder in Massawa. Wir ließen uns Fritatta (Eierspeise) und Ful (Bohnengericht) in verschiedenen Variationen gut schmecken. Dazu gab es heißen, gewürzten Tee und wir waren gestärkt für die Weiterfahrt. Aber Halt! Erst noch musste jeder ein Glas Zibib trinken, denn der Anisschnaps steht im Ruf für und gegen „alles“ zu helfen. Auch gegen die kommende Hitze in Massawa. Kurze Zeit noch konnten wir die morgendliche Kühle unter den wenigen alten Bäu-men genießen. Spätestens in Dongollo werden wir die Hitze zu spüren bekommen, die vom Roten Meer und der Danakil-Wüste hochsteigt …

War es bis nach DONGOLLO noch üppig und grün, wird das Klima jetzt schon merkbar schwülheiß. Je tiefer und je weiter wir in Richtung Rotes Meer kommen, umso heißer wird es. Von Kurve zu Kurve steigt die Hitze spürbar, es wird heißer und heißer. In den Sommermonaten haben wir nach der morgendlichen Kühle im Hochland das Gefühl, als wenn wir auf einem Brotschieber sitzen und langsam in den Backofen geschoben würden. Auf der Rückfahrt werden wir das umgekehrte Gefühl erleben, es wird „kälter“ und so empfehlen wir einen Pullover als Schutz gegen das „Kältegefühl“ mitzunehmen …

Bald danach überqueren wir den nur in der Regenzeit Wasser führenden DOGALLI-FLUSS (DOGALI). Dessen Zementbrücken führen über das tiefer gelegene Flussbett und erwecken bei der Annäherung mit dem Auto, den Anschein sie würden einfach so in der Landschaft stehen. Hier, etwa 90 Kilometer von Massawa entfernt, erinnert ein Denkmal an die Schlacht von Ras Alula gegen das italienische Heer des Generals Sa Marzano. Viele zehntausende Soldaten beider Seiten verloren im September 1888 ihr Leben.

Wenige Kilometer vor Massawa fahren wir wieder an einer Gedenkstätte vorbei – dem „Friedhof der Märtyrer“ (Martyr Cemetary). Auf diesem Friedhof sind vornehm-lich Opfer des Kampfes um die Befreiung von Massawa (Februar 1990) bestattet.

Kurz danach kommt der italienische Friedhof und dann haben wir die Vororte der Ha-fenstadt Massawa erreicht. Mehr über Massawa erfahren sie im Kapitel „Massawa – Perle am Roten Meer“.